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Die Welt, die Instagram nicht zeigt

Hinter all den perfekten Fotospots, Infinitypools und endlos langen Wellen gibt’s noch eine Welt, die wir nicht so oft sehen. Und die meisten wahrscheinlich auch lieber nicht sehen würden. Ich find’s dennoch wichtig hinzusehen.

Wenn man länger an einem Ort lebt, lernt man auch die Seite des Landes kennen, die uns online meist verborgen bleibt. Und weil ich daran glaube, dass wir nur gemeinsam die Welt zu einem besseren Ort machen können, habe ich mir die gute Ayu geschnappt und mit ihr ein bisschen über das Leben aus Sicht einer indonesischen Person gesprochen. Ich habe hier die spannendsten Teile unseres Gesprächs zusammengefasst: 

Wer ist Ayu?

T: Wer bist du und was machst du?  

A: Hallo Tina! Ich bin Ayu, eine balinesisch-javanische Mischung, mein Vater stammt aus Singaraja, Nordbali. Ich habe die meiste Zeit meines Lebens in Java verbracht, aber vor zwei Jahren habe ich beschlossen, meinen Job als Modekauffrau in Jakarta aufzugeben und bin zurück nach Bali gezogen. Hier eröffnete ich ein kleines Teehaus/Café in Süd-Denpasar und leitete gleichzeitig ein Reformer-Pilates-Studio in Canggu. Im Mai 2021 schloss ich mich in einem verzweifelten Versuch, mich aus meinem Einsiedlerdasein zu befreien, einem Filmtreff mit ein paar Mädels an, was schließlich der Beginn einer rein weiblichen Community namens Bali Anecdotes war, die wir jetzt kennen und lieben. 

Die Müllsituation auf Bali

T: Wie ist die Situation mit Müll/Plastik in Bali/Indonesien und würdest du sagen, dass sie in den letzten Jahren besser oder schlechter geworden ist?  

A: Ich würde nicht sagen, dass es besser geworden ist, aber ich habe auch nicht das Gefühl, dass es schlimmer geworden ist. Die Pandemie hat meine Sichtweise auf unsere Erde in vielerlei Hinsicht verändert und ich habe gesehen, dass viele Menschen nach der Pandemie zu der gleichen Erkenntnis gelangt sind. Wir sind vorsichtiger mit unserer Welt geworden, indem wir alles nachhaltiger, abfallärmer und gesünder machen – was sich auch in unserem besseren Verständnis der Abfallwirtschaft widerspiegelt. Bis dahin ist es noch ein weiter Weg, aber ich hoffe, dass die Menschen weiterhin aufmerksam darüber nachdenken, was sie in ihrem täglichen Leben mit ihrem Müll und der Plastik machen. 

T: Was würde Deiner Meinung nach zur Verbesserung der Situation beitragen? 

A: Ich glaube, dass keine noch so große Anzahl von Strandsäuberungen, Flusssäuberungen oder öffentlichen Gesundheitsveranstaltungen ohne wirkliche Aufklärung viel bewirken kann. Die Aufklärung der Menschen über die Abfallbewirtschaftung muss an erster Stelle stehen, bevor irgendetwas anderes getan wird. 

T: Kannst du NGOs empfehlen, die wir uns ansehen sollten? 

A: Wir arbeiten in der Tat mit mehreren NGOs auf Bali zusammen, die regelmäßig Strandsäuberungen durchführen, z. B. No Limbah und Trash Hero. Ich bewundere ihre harte Arbeit, um die Menschen über Abfallmanagement aufzuklären, und ich hoffe wirklich, dass ich sie durch die Zusammenarbeit mit Bali Anecdotes noch mehr unterstützen kann. 

Armut auf Bali

T: Wie hoch ist der Mindestlohn in Bali und wie viel verdient der durchschnittliche Balinese pro Monat? 

A: Der Mindestlohn in Bali liegt im Durchschnitt zwischen IDR 2 Mio. (ca. € 123) und IDR 3 Mio. (ca. € 185) für eine Anstellung auf der Einstiegsebene. Das hängt natürlich ab von der Ausbildung, der Art der Stelle, auf die man sich bewirbt, der Erfahrung usw. Eine Beschäftigung auf mittlerer Ebene beginnt in der Regel bei IDR 4 Mio. (ca. € 245) bis IDR 6 Mio (ca. € 370) und so weiter.  

[Anm. Im Internet spricht man von ca. € 400, die man als europäische Studierende auf Bali zum Leben braucht. Ich hab mehr gebraucht, aber war auch nicht sonderlich Sparsam.] 

T: Wie war die Situation vor / während / nach der Covid-Pandemie?  

A: Was den Mindestlohn anbelangt, so glaube ich, dass es vor, während und nach Covid keine nennenswerten Unterschiede gibt, abgesehen von den staatlichen Vorschriften, aber die Menschen hatten es während Covid und auch jetzt noch sehr schwer. Von all den Menschen, die während Covid entlassen wurden oder einfach ihren Job verloren haben, sehe ich immer noch so viele, die darum kämpfen, einen neuen Job zu finden, oder deren Versuche, ihr Unternehmen wieder auf die Beine zu bringen, bis jetzt gescheitert sind. Die wirtschaftlichen Verhältnisse in Indonesien sind noch lange nicht stabil, das steht fest. 

[Anm. Eine andere Person, die während Covid ihren Job verloren hat, hat mir erzählt, dass sie umgerechnet € 2.700 für zwei Jahre zum Leben zur Verfügung hatte.] 

T: Ich weiß, dass es eine Schulpflicht gibt, aber ich habe auch schon Kinder gesehen, die tagsüber in Geschäften usw. waren. Sind alle Kinder in der Lage, zur Schule zu gehen und für Bücher, Uniformen und Ähnliches zu bezahlen?  

A: Es gibt zwei Möglichkeiten, warum du Kinder gesehen hast, die tagsüber nicht in der Schule waren: Erstens ist es möglich, dass ihre Schule ein Vormittags-/Nachmittags-Programm hat, so dass du sie entweder nach der Schule oder vor der Schule gesehen hast. Die zweite Möglichkeit ist leider noch schlimmer: Die Kinder, die du gesehen hast, konnten sich den Schulbesuch in keiner Weise leisten. 

T: Gibt es NGOs, die du empfehlen kannst? 

A: Ich würde vorschlagen, dass du dir diese ansiehst, die sind ziemlich cool: 

https://www.sos.or.id/ 

https://www.jalinmimpi.org/ 

Tourist:innen auf Bali

T: Gibt es etwas, das ich als Tourist:in in Bali wissen sollte? Müssen wir zum Beispiel extra Trinkgeld geben oder ist es inbegriffen? Wie viel Preisverhandlung ist in den Geschäften/Märkten in Ordnung? 

A: Trinkgeld ist hier in Bali/Indonesien nicht obligatorisch und nicht im Preis inbegriffen. Wenn du also das Gefühl hast, dass eine Person hilfsbereit und freundlich ist, würde ich sagen, gib ihr großzügig Trinkgeld. 

Ein Profi-Tipp: Beginne deine Verhandlungen immer 50% niedriger als der Preis, den sie dir gegeben haben.   

T: Gibt es etwas, was Tourist:innen auf Bali tun können, um die Einheimischen zu unterstützen? 

A: Ich würde sagen, man sollte sich mit den Einheimischen anfreunden. Damit meine ich nicht, dass man jedes Souvenir und/oder jede Ware kauft, die einem auf dem Markt angeboten wird, sondern dass man sich mit uns Einheimischen anfreundet, sei es bei gesellschaftlichen Veranstaltungen oder wenn man sich in einem Café zum Beispiel zum Essen trifft. 

Einer der Gründe, warum wir Bali Anecdotes gegründet haben, ist das Bedürfnis nach einer Community, die für alle offen ist, aber von indonesischen Frauen geleitet wird. Ich glaube, dass dies so viele Möglichkeiten eröffnet, zu lernen, zusammenzuarbeiten und sich gegenseitig zu verstehen, wie es keine andere von Auswander:innen geleitete Gruppe/Community kann.

T: Gibt es etwas, das Tourist:innen auf keinen Fall tun sollten?  

A: Oh ja! Wenn du die viralen Videos gesehen hast, die zeigen, was Tourist:innen in letzter Zeit in Canggu und Ubud gemacht haben – ich könnte eine Liste erstellen! Ich denke, das absolute NO-GO ist, uns während einer Zeremonie nicht zu respektieren. Ich habe gesehen, wie einige Touristinnen Bikini-Fotoshootings gemacht haben, während im Hintergrund Menschen beteten oder eine Zeremonie abhielten. Das war wild. 

T: Was ist mit den Hunden? Könnten sie adoptiert werden?  

A: Wenn es sich um streunende Hunde auf der Straße handelt (balinesische Hunde), kann man sie wohl von Fall zu Fall adoptieren. Aber ich würde sagen, dass es besser wäre, ins Tierheim zu gehen und einen Hund in Pflege zu nehmen, bevor man ihn adoptiert. 

Female Empowerment auf Bali

T: Ich weiß, dass Du eine sehr ehrgeizige Frau bist, und du bist eine der Gründerinnen von Bali Anecdotes. Wie sieht die Situation für Frauen auf Bali aus? Was muss sich Deiner Meinung nach zum Besseren ändern und wie könnte das geschehen?  

A: Ich bin ziemlich stolz darauf, wie sich die indonesischen Frauen heutzutage entwickeln – wir fangen an, uns gegenseitig als unabhängige Frauen zu stärken, über unsere Probleme zu sprechen, unsere psychische Gesundheit in den Vordergrund zu stellen und uns langsam von der gesellschaftlichen Norm zu entfernen, dass die Frau immer unter dem Mann steht und unser einziger Zweck darin besteht, zu heiraten und Kinder zu bekommen. Ich hoffe, dass diese positive Energie anhält und die indonesischen Frauen endlich erfahren können, wie sich Gleichberechtigung anfühlt. 

T: Was hältst du von dem neuen Gesetz (kein Sex vor der Ehe)? 

A: Ich glaube nicht, dass sie es wirklich anwenden werden – der Gesetzesentwurf selbst hat so viele Schlupflöcher und kontraintuitive Punkte, dass es einfach keinen Sinn macht. Ich glaube, die Regierung hat noch sooooo viel zu tun, bevor sie diesen Bereich überhaupt in Angriff nimmt. 

T: Gibt es in Bali/Indonesien NGOs, die sich für die Rechte von Frauen und Personen der LGBTQ+ Community einsetzen?  

A: LGBTQ+ ist in Indonesien illegal, daher glaube ich nicht, dass sich irgendwelche NGOs offen für die LGBTQ+-Gemeinschaft einsetzen, leider. Ich kenne einen Ort hier in Bali namens Inklusiv Warung, der ein wirklich cooles Konzept verfolgt, das für jedes Gender und jede Sexualität offen ist. Sie haben so viele Veranstaltungen zum Thema Inklusion ins Leben gerufen, dass es für mich und Bali Anecdotes eine große Ehre ist, sie zu unterstützen und ein Teil davon zu sein.

Bali Street Mums ist eine NGO, die obdachlosen Müttern und deren Kindern Unterstützung bietet und sich dafür einsetzt, dass Dinge wie Menschenhandel der Vergangenheit angehören.

Mein Fazit