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KI-„Kunst“ – Kommentar einer Medienpsychologin
Vor wenigen Tagen machten die News die Runde, dass im Auktionshaus Sotheby’s ein KI-Gemälde für 1,22 Millionen Euro versteigert wurde. Eine Sensation auf dem Kunstmarkt, so Sotheby’s. Unsere In-house-Medienpsychologin sieht das Ganze jedoch etwas kritischer. Sie nimmt die Berichterstattung zum Anlass für einen kleinen Rant über unseren Umgang mit KI und die gesellschaftlichen Risiken, die dadurch entstehen.
„Die eine Frage, die man sich nach einem derartigen Bericht stellen sollte, ist, ob „KI-Kunst“ die nächste NFT-Blase wird; mit dem offensichtlichen Unterschied, dass man diesmal tatsächlich ein physisches Objekt erwirbt. Außerdem frage ich mich bei KI-Kunst immer, wer eigentlich das Geld bekommt. Die Softwareentwickler:innen, die einen Algorithmus geschrieben haben, der einen Roboterarm bewegt und auf eine unzählige Menge an Daten zugreift? Oder die Künstler:innen, die die unzähligen Bilder und Gemälde erstellt haben, die nun dazu genutzt werden, das System zu trainieren? Das sind spannende Fragen, aber ich bin Medienpsychologin, nicht Medienjuristin.
Meine Irritation liegt eher im direkten Umgang mit der KI und wie wir über das System sprechen. Genauer gesagt: das Maß an Anthropomorphisierung, das im Kontext (humanoider) Roboter stattfindet. Was meine ich damit? Kurz gesagt versteht man unter Anthropomorphisierung die Vermenschlichung von Entitäten (Tiere, Pflanzen, Technik, Autos usw.). Diese Vermenschlichung ist Teil der menschlichen Natur: unser Gehirn ist darauf trainiert, menschliche Merkmale extrem schnell zu erkennen. Meistens macht das auch Sinn und es ist relativ harmlos, wenn man seinem Auto einen Namen gibt oder den Hund als Familienmitglied ansieht.
Wenn die Vermenschlichung aber so weit geht, dass man ein Computerprogramm (und eine KI ist genau das) als Lebenspartner:in anerkennt, stellt es ein Problem für die Gesellschaftlich dar.
Derartige Anthropomorphisierungstendenzen werden durch Nachrichtenartikel und Pressemitteilungen, die ein Computersystem als „Roboterkünstler“ bezeichnen, verstärkt. Es gibt keine „Roboterkünstler“ – es gibt nur Systeme, die dank einer Unmenge an Daten bestimmte Abläufe kennen. Wenn diesem Computercode dann ein Pinsel als Endeffektor (der korrekte Begriff für „Roboterhand“) angebaut und er vor eine Leinwand gestellt wird, macht das das Computersystem nicht zum:zur Künstler:in. Natürlich kann man darüber diskutieren, was eine:n Künstler:in ausmacht, aber diese Diskussion würde ich bei Gelegenheit lieber mit Philosoph:innen und Künstler:innen führen.
Ein weiterer Punkt der Vermenschlichung ist die Vergeschlechtlichung. Warum müssen Roboter aussehen, Navigationssysteme klingen und Chatbots kommunizieren wie Frauen? Es gibt bereits Hinweise darauf, dass die starke Vergeschlechtlichung von Robotern für Frauen eine Gefahr darstellen kann: eine Vermenschlichung von weiblich wahrgenommenen Robotern kann paradoxerweise zu einer Entmenschlichung von tatsächlich weiblich gelesenen Personen führen (Sparrow, 2017). Eine Entmenschlichung bedeutet auch eine geringere Hemmschwelle im Umgang mit Personen (wie historisch immer wieder bewiesen wurde).
Im schlimmsten Fall kann die sukzsessive Entmenschlichung von Frauen durch die Anthropomorphisierung zu einer Normalisierung von (sexualisierter) Gewalt gegenüber Frauen führen. Und als Frau und Medienpsychologin würde ich mich mit diesem Thema in Zukunft lieber nicht beschäftigen müssen.
Ja, KI ist hier, um zu bleiben, aber so zu tun, als wäre Software etwas, das Menschen ebenbürtig ist, ist mit enormen Risiken verbunden.
Quellen:
Sparrow, R. (2017). Robots, Rape, and Representation. International Journal of Social Robotics, 9, 465-477. https://doi.org/10.1007/s12369-017-0413-z.
Podcast-Empfehlung: https://open.spotify.com/episode/1nci4wjiRfj75jpvkDHXEs?si=12b3cef2090b4bc6